Prinzipal-Agent(ur)-Theorie – Warum Agenturen nicht aussterben und das Vertrauen der Kunden verdienen.

„Auf die kreative Umsetzung kann man im Zweifel auch Affen dressieren“mit dieser Aussage löste Serviceplan-Kreativchef Alexander Schill bei einer Podiumsdiskussion auf dem Deutschen Medienkongress Ende Januar eine Debatte aus, die seitdem durch die Kreativszene wabert. Hier und da äußern sich mehr oder weniger Betroffene zum Standing von kreativer Dienstleistung in Deutschland und kommen zu recht unterschiedlichen Schlüssen. Der „Schwanengesang“ des durchaus profilierten Kreativen Alexander Rehm auf das mittelfristige Aussterben von Werbeagenturen stellt hier sicherlich die pessimistische Speerspitze dar und fischt mit bewusst provokanten und einseitigen Einschätzungen nach Reaktionen aus der Branche. Mich hat Rehm am Haken. Auch wenn er mit seinen Thesen eine Stimmung aufgreift, die man nicht wegdiskutieren kann, greifen die Argumente in fast allen Belangen zu kurz und sind fast unerträglich verallgemeinernd. Eine Replik.

Dicker Schinken. Lesezeit knapp 5 Minuten (es lohnt sich).

Schwanengesang #1: Das Businessmodell ist kaputt. Mit der Aussage, Kreative müssten heutzutage nicht mehr vorrangig gut, sondern vor allem schnell sein, führt Rehm seine Eingangs-Anekdote ein wenig ad absurdum. Dort beschreibt er eine Kreativ-Agentur, die bei dem Auftrag, Vertriebs-Werbemittel zu aktualisieren, weit über das Ziel hinausschießt und sich jeder ökonomischen Nachvollziehbarkeit entzieht. Ein sehr zugespitztes Beispiel der suggerierten Entfremdung zwischen Kunde und Agentur. Wie soll man das verstehen? Die persiflierte Agentur versucht, gut statt schnell zu sein und scheitert, da sie am Bedürfnis des Kunden vorbeikonzeptioniert? Ich sehe hier keine Manifestierung eines gescheiterten Businessmodells sondern schlichtweg Missmanagement auf Agenturseite. Es ist durchaus möglich, kreativen Prozessen ihren Raum zu geben und gleichzeitig zu gewährleisten, dass sie zielgerichtet bleiben und nicht in Schöngeisterei ausufern. Doch das passiert natürlich nicht von alleine und muss gesteuert werden.

Es gibt die beschriebenen Tendenzen, keine Frage. Geld wird zunehmend in der Umsetzungsphase und nicht mit der initialen Idee verdient. Die digitale Revolution schwingt die Effizienz-Peitsche und es „droht“ ein Wertschätzungs-Dreh weg von Kreation hin zu Programmierung und Entwicklung. Agenturen jedoch, die dies als Anlass sehen, nicht brauchbare Arbeit zu verfechten, machen schlichtweg einen strategischen Fehler. Die Schlussfolgerung, dass Ideen dadurch per se wertlos gemacht werden, ist sehr drastisch. Es mag solche Strömungen geben, es gibt aber auch immer noch sehr viele Verfechter von Kreativität als entscheidenden Faktor – und zwar auf beiden Seiten im Kunden-Agentur-Verhältnis.

Schwanengesang #2: Die Daseins-Berechtigung schwindet. Vor dem Beginn einer Zusammenarbeit zwischen Kunde und Agentur (welcher Art auch immer) steht im Grunde immer eine „Make-or-Buy“-Entscheidung – daran können auch wachsendes Know-How und Vorstellungsvermögen in den Marketing-Abteilungen der Kunden nichts ändern. Das hat schon rein wirtschaftliche Gründe. Nur wenn Marketing-Abteilungen mit Kreativarbeit effizient ausgelastet werden können, wird die externe Kreativdienstleistung überflüssig. Doch das vermögen die wenigsten Unternehmen. Die inhaltliche Komponente ist jedoch eine andere. Die These, dass heutige Marketing-Leiter niemanden mehr bräuchten, der ihnen die eigene Marke erklärt, mag vielleicht für komplett durchoptimierte Konzerne in DAX-Größenordnung zutreffen. Dies auf die durchschnittliche Kunden-Agenturen-Beziehung anzuwenden, halte ich aber nicht nur für ungenau und vereinfachend, sondern schlichtweg für falsch. Es klingt wie eine Einlassung aus dem Elfenbeinturm, die für die große Mehrheit deutscher Kreativschaffender nicht zutrifft. Denn diese Mehrheit (zu der auch wir gehören) hat in der Regel kleine und mittlere Unternehmen, Mittelständler und Familienunternehmen als Kunden. Hier werden Agenturen nicht selten als Berater auf Augenhöhe verstanden. Das Verhältnis von Kunden zu Agentur (häufig von Geschäftsführung zu Geschäftsführung) geht hier weit über das Abarbeiten kreativer Vorgaben aus der Marketingabteilung hinaus. Stattdessen findet hier noch echte Markenberatung und -konzeption statt. Auch das können die dressierten Affen nicht leisten, was uns zur nächsten These führt:

Prinzipal-Agent(ur)-Theorie – Vertrauen zwischen Kunden und Agentur 3
Prinzipal-Agent(ur)-Theorie – Vertrauen zwischen Kunden und Agentur 2

Schwanengesang #3: Das Wasser wird von allen Seiten abgegraben. Vorrangig gut oder vor allem schnell? Das sollte für Agenturen nicht die entscheidende Frage sein. Dass Strategieberatungen verstärkt im Agentur-Revier wildern, ist eine Tatsache. Das gilt auch für die kreative Aufrüstung bisher eher produktionsgetriebener Dienstleister. Aber auch hier greift die Schlussfolgerung von Rehm zu kurz. Denn diese horizontale Diversifikation betreiben (klassische) Agenturen im gleichen Maße. Sie werden Strategie-Berater, Produktentwickler und Content-Produzenten. Das Dilemma, dass im Tagesgeschäft für die 80 Prozent anfallenden reinen Produktionsarbeiten (ein sehr hoher Wert) zu teuer zu sein und für die restlichen 20 Prozent kreative Konzeption und Strategie nicht gut genug bezahlt zu werden, ist durchaus ein reales Problem. Diesem kann man aber mit internen Umstrukturierungsmaßnahmen durchaus erfolgreich entgegentreten. Schwanengesang #4: Die Selbstzerfleischung gibt allen den Rest. Hier bin ich in Teilen einer Meinung mit Rehm. Klassische Kreativagenturen drohen ihren bisherigen USP im Employer Branding nach und nach zu verspielen. Heute bieten (vermeintlich) die Konzerne den Büro-Lifestyle an, der früher die jungen Wilden in Scharen zu den Agenturen trieb. Und das teilweise bei buchstäblich doppelter Vergütung. Die Frage der Banalität des eigenen Schaffens ist für Agentur-Kreative allerdings alles andere als neu und macht auch vor Corporate-Marketern keinen Halt. Die subjektive Entwicklung der jüngeren Vergangenheit auf diesem Feld kann ich nicht beurteilen – da glaube ich gerne den Äußerungen der Betroffenen selber.

Was bleibt Insgesamt muss wohl angenommen werden, dass sich Rehms Requiem in seiner zugespitzten Formulierung auf einen auch sehr zugespitzten Teil der Branche bezieht, nämlich auf die großen Networks und alteingesessenen Kreativ-Tempel. Vermutlich argumentiert er als „One Man Army“ auch in eigener Sache.

Wir bei 360VIER haben weitestgehend erfreuliche Kundenbeziehungen zu KMU und Mittelständlern und können diesen Pessimismus nicht nachvollziehen. Unsere Entwicklung der letzten drei Jahre war so nur möglich, weil die Kunden uns vertrauen, uns als Partner schätzen und nicht als Handlanger herumkommandieren.

Unverzichtbar ist niemand, das wissen wir und das wissen die Kunden. Mutig ist, wer sich trotzdem vertraut und Subjektivität in der Konzeption und Produktion auf Agenturseite bewusst in Kauf nimmt, ja sogar begrüßt. Die Kunden haben sich schließlich nach sehr reifer Überlegung für uns entschieden. Und neben Referenzen und nachweisbaren Kompetenzen ist in diesem Metier eben doch eines der Hauptgrund, einer Agentur zu vertrauen: Die Einschätzung, ob man mit den Personen, die einem im Erstgespräch oder Pitch gegenübersitzen, langfristig erfolgreich und möglichst harmonisch zusammenarbeiten kann und möchte (vgl. dazu die eingefügten Grafiken). Wir würden so weit gehen, dass es sich hier meist auch fast um eine 80/20-Entscheidung handelt. 20 Prozent Fakten, 80 Prozent Sympathie und glaubwürdige Kommunikation.

Es ist die Essenz der Prinzipal-Agent-Theorie, die hier wunderbar Anwendung findet: Wenn in einem (gegenseitigem) Abhängigkeitsverhältnis eine Informations-Asymmetrie vorherrscht, ist Vertrauen immer noch einer der mächtigsten Anreize zu korrektem (und zielführenden) Verhalten. Eine auf Vertrauen basierende Zusammenarbeit zwischen Agentur und Kunden ist für alle Beteiligten angenehmer und die Ergebnisse sind besser. Das braucht zwar Mut und Ehrlichkeit, aber keine Wunder.

Wenn man auf dieser Basis zusammenkommt, funktioniert auch die eigene Positionierung, wie sie Alexander Schill zugespitzt propagiert: Wer als Problemlöser engagiert wird, entscheidet auch, wie das Problem gelöst wird – und macht aus einer Not eine Tugend.

Quelle der Diagramme: GWA 2010. Unternehmensumfrage: Nach welchen Faktoren wählen Werbungtreibende Unternehmen ihre Agenturen aus? Studie hier abrufen.